Gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne des Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO ist der Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag erfüllt.
Inhalt[↑]
- Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO
- Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag
- Keine Zuständigkeit wegen rügeloser Einlassung
Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO[↑]
Die internationale Gerichtszuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO).
Die EuGVVO ist seit ihrem Inkrafttreten am 01.03.2002 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar. Sie geht nationalem Recht im Rang vor.
Die EuGVVO ist im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall auf die beklagte Arbeitgeberin anwendbar, da sie ihren Sitz im EU-Mitgliedstaat Luxemburg hat. Nach Art. 60 Abs. 1 EuGVVO haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Das ist hier W im Großherzogtum Luxemburg.
Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag[↑]
Da Gegenstand des Verfahrens Ansprüche sind, die aus einem individuellen Arbeitsvertrag abgeleitet werden, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem Kapitel II Abschn. 5 der EuGVVO, also nach deren Art. 18 ff., soweit darin nicht auf andere Vorschriften der EuGVVO verwiesen wird.
Keine Zuständigkeit wegen rügeloser Einlassung[↑]
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte ergibt sich nicht aus einer rügelosen Einlassung der Beklagten. Eine stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung – zuständigkeitsbegründende Einlassung -, die auch im Rahmen der EuGVVO möglich ist, ist nicht zustande gekommen. Die Beklagte hat von vornherein und – obwohl eine Einlassung im Gütetermin nicht zuständigkeitsbegründend wäre – noch vor dem Gütetermin die fehlende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte geltend gemacht.
Keine Zuständigkeit nach dem Sitz der Beklagten[↑]
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte folgt nicht aus Art. 19 Nr. 1 EuGVVO. Die Beklagte hat ihren Wohnsitz nicht in Deutschland, sondern in Luxemburg.
Zuständigkeit des Arbeitsplatzes[↑]
Die deutschen Arbeitsgerichte sind jedoch nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO zuständig. Nach dieser Bestimmung kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, auch an dem Ort in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dieser Ort – der gewöhnliche Arbeitsort – liegt im Streitfall in Duisburg.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage einer Vorlage nach Art. 267 AEUV anhand der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe geprüft. Da die im Streitfall maßgebliche Auslegungsfrage geklärt ist, liegen die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht vor. Der für die Auslegung des Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO zuständige Gerichtshof der Europäischen Union hat sich mit dieser Norm bisher zwar nicht unmittelbar befasst. In einem Art. 19 EuGVVO betreffenden Vorlageverfahren, das ihm vom Tribunal du travail von Charleroi unterbreitet wurde, erklärte er sich für unzuständig nach Art. 68 EG-Vertrag. Jedoch hat der EuGH für die, soweit von Interesse, wortidentische Vorgängerregelung des Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO, nämlich Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüsseler Übereinkommen), bereits eine verbindliche Auslegung vorgenommen, auf die zurückzugreifen ist. Das Bundesarbeitsgericht legt sie seiner Entscheidung zugrunde.
Für die Bestimmung der Zuständigkeit im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens ist diejenige Verpflichtung als maßgeblich anzusehen, die für den Arbeitsvertrag charakteristisch ist, also die Pflicht zur Verrichtung der Arbeit. Dabei steht das Bestreben nach einem stärkeren Schutz der Arbeitnehmer im Vordergrund. Dieses Ziel gilt nach dem Erwägungsgrund 13 auch für die EuGVVO. Sie will bei Arbeitssachen die schwächere Partei durch die Zuständigkeitsvorschriften in den Art. 18 – 21 EuGVVO schützen. Die Regeln über die internationale Zuständigkeit sollen für die schwächere Partei günstiger sein als die allgemeinen Regeln.
Als Ort, an dem die für den Vertrag charakteristische Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, ist der Ort anzusehen, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber hauptsächlich erfüllt.
In diesem Sinn hat der Gerichtshof der Europäischen Union auch den Ort verstanden, den der Arbeitnehmer zum tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gemacht hat: Es ist derjenige Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil der Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt.
Zur Bestimmung dieses gewöhnlichen Arbeitsorts im Sinne des Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens hat der EuGH weiter präzisierend ausgeführt, er sei vom nationalen Gericht jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für das betreffende Arbeitsverhältnis zu bestimmen.
Der gewöhnliche Arbeitsort in diesem Sinne wird vom EuGH als Ort für die Zuständigkeitsbestimmung ua. deshalb als geeignet angesehen, weil damit das der Vertragsbeziehung am nächsten liegende Gericht zuständig wird. Damit wird regelmäßig derjenige Ort für die Klageerhebung zuständig, an dem der Arbeitnehmer am leichtesten klagen kann, weil er hier, worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht und im Einklang mit dem Europäischen Gerichtshof hingewiesen hat, das räumlich, sozial, sprachlich und kulturell am ehesten vertraute Umfeld vorfindet. Vermieden werden soll eine prohibitive Wirkung etwaiger Klageerhebungskosten. In dieselbe Richtung weisen auch die Erwägungsgründe 23 und 24 zur Rom-I-VO, wonach bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, die schwächere Partei geschützt werden soll. Zu diesem Schutz gehört auch die Senkung der Kosten für Rechtsstreitigkeiten. Die Rom-I-VO findet zwar auf den Streitfall noch keine Anwendung, kann jedoch zur Auslegung der EuGVVO herangezogen werden. Maßgebend ist der Gedanke, dass der Arbeitnehmer an einem Ort soll klagen können, mit dem er verbunden ist und an dem er mit den relativ geringsten Kosten seine Rechte wahrnehmen kann. Außerdem ist der Ort, von dem aus die Arbeit aufgenommen wird, regelmäßig leicht zu erkennen. Damit ist dem Anliegen der EuGVVO gedient, eine möglichst rasche und einfache Klärung der Zuständigkeitsfrage zu erreichen.
Arbeitsort Duisburg[↑]
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall Duisburg als gewöhnlicher Arbeitsort anzusehen. Von hier aus nahm der Kläger die Arbeit auf und der Ort weist nach der Gesamtheit der Umstände des Falles die engsten Verbindungen zum Arbeitsverhältnis auf.
Das Arbeitsverhältnis hat in Duisburg, also in Deutschland, seine Wurzeln. Es geht auf frühere Arbeitsverhältnisse mit einem in Duisburg ansässigen Unternehmen zurück, das seinerseits zu einem ebenfalls in Duisburg ansässigen Konzern gehörte.
Die Beklagte gehört auch heute zu einem überwiegend von Duisburg aus operierenden Konzern und wird im Wesentlichen geleitet von einer zumindest auch in Duisburg ansässigen Geschäftsführung. Die Beklagte ist außerdem das Tochterunternehmen der in Duisburg ansässigen Muttergesellschaft.
Die Arbeitnehmer der Beklagten nehmen von Duisburg aus die Arbeit auf und beenden sie regelmäßig in Duisburg. Landgänge andernorts finden nicht statt. Die Arbeitnehmer werden – was Arbeitskleidung, Proviant etc. betrifft – von Duisburg aus versorgt. Von hier aus werden auch die Zubringerdienste organisiert und bezahlt. Die Beklagte hält Betriebsversammlungen in Duisburg ab.
Die Schiffsmannschaft besteht weit überwiegend aus deutschen Staatsangehörigen. Auf dem Schiff wird deutsch gesprochen. Sowohl das Arbeitsumfeld als auch das Vertragsumfeld sind entscheidend von der deutschen Sprache geprägt. Es liegt auf der Hand, dass die Zuständigkeit eines Gerichts, dessen Gerichtssprache deutsch ist, diesen Umständen besonders entgegenkommt. Das gilt sowohl für organisatorische Fragen als auch für die Kostenfrage. Es gilt aber besonders im Hinblick auf die für ein Gerichtsverfahren wünschenswerte Unmittelbarkeit des allseitigen Verständnisses für die räumlichen, kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten und auf die – durch die nationale Rechtskultur vorgeprägten – Haltungen und Erwartungen der Prozessbeteiligten, in die ein Arbeitsrechtsstreit gewöhnlich eingebettet zu sein pflegt.
Die Beziehungen zwischen dem Vertrag und dem Großherzogtum Luxemburg fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Sie sind zwar insoweit nicht zufällig, als die Beklagte diesen Sitz mit Bedacht gewählt haben dürfte. Gleichwohl erweisen sie sich – was die Nähe zum gelebten Arbeitsverhältnis betrifft – als vernachlässigenswert und marginal. Irgendwelche Arbeitsleistungen am Sitz der Beklagten hat der Kläger nie erbracht und konnte er nach Lage der Dinge in W oder sonst im Großherzogtum Luxemburg auch nicht leisten. Weisungen wurden dem Kläger von dort aus nicht erteilt.
Die Tatsache, dass der Kläger den etwas überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit auf dem Hoheitsgebiet des Königreichs der Niederlande verbringen dürfte, könnte an sich ein Hinweis darauf sein, dass sich dort auch sein gewöhnlicher Arbeitsort befindet. Indes sind angesichts der hier gegebenen Besonderheiten die während des Aufenthalts auf dem schwimmenden Schiff durch die räumliche und die zeitliche Dimension vermittelten Beziehungen flüchtig und fließend und für die rechtliche Anknüpfung ohne Aussagewert. Der Kläger betritt bei seiner Arbeit den Boden des Königreichs der Niederlande so gut wie nicht. Seine Arbeitsleistung hat zu den arbeitsrechtlichen, sprachlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im Königreich der Niederlande noch weniger Bezug als zu denjenigen im Großherzogtum Luxemburg. Sie ist nicht durch die Lebensbedingungen in den Niederlanden geprägt. Inhaltlich beeinflusst werden Arbeitsleistung und Arbeitsumfeld des Klägers allein durch die mit Weisungen und organisatorischen Vorkehrungen von Duisburg aus den Arbeitsprozess steuernde und in ihn eingreifende Geschäftsführung, durch die in Duisburg ansässige Schiffseignerin, die ebenfalls dort tätigen Ausrüster des Schiffs und die überwiegend deutsche Mannschaft.
Da das Bundesarbeitsgericht im Streitfall auf der Grundlage der Auslegung entschieden hat, die der Gerichtshof der Europäischen Union in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat, und das Bundesarbeitsgericht entsprechend dieser Auslegung den gewöhnlichen Arbeitsort anhand der Umstände des hier gegebenen Falles vorgenommen hat, lagen die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht vor. Eine klärungsfähige Auslegungsfrage hat sich nicht gestellt. Soweit etwa in der arbeitsrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten wird, es sei vom EuGH noch nicht vollständig ausgeurteilt, welche Bedeutung der Ort besitzt, „von dem aus“ der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt, mag das in dieser Allgemeinheit zutreffen. Indes sind aus dem damit beschriebenen Problemkreis nicht sämtliche, sondern lediglich diejenigen Fragen vorlagefähig, die die Auslegung betreffen. Eine solche war hier schon deshalb nicht zu entscheiden, weil nach der Rechtsprechung des EuGH die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts aufgrund der Umstände des Einzelfalles vom nationalen Gericht vorzunehmen ist.
Dem steht auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 2009 nicht entgegen. Die Entscheidung verhält sich ausdrücklich allein zu Fällen der internationalen Seeschifffahrt.
Ein Fall des Art. 19 Nr. 2 Buchst. b EuGVVO liegt nicht vor. Die Regelung greift ein, wenn ein gewöhnlicher Arbeitsort in einem Mitgliedstaat nicht besteht. Eben dies ist aber hier der Fall.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 AZR 646/09